Novemberhilfen, Einkaufsgutscheine: Die Milliarden verfehlen ihr Ziel
Novemberhilfen, Einkaufsgutscheine: Die Milliarden verfehlen ihr Ziel
Der Einzelhandel ist während des „Lockdowns light“ in einer schwierigen Lage. Die Politik versucht mit vielen kostspieligen Maßnahmen zu helfen: Vermittlung von Wissen, Subventionen, Einkaufsgutscheinen. Doch vergeblich, meint unser Gastautor. Es ginge viel einfacher.Wie ist die Lage im stationären Einzelhandel zu Zeiten der zweiten Corona-Welle, des „Lockdown light“ und des gleichzeitig beginnenden Weihnachtsgeschäfts? Sie ist uneinheitlich, aber oft fiebrig, mit erhöhtem Puls und Schmerzen, weil für viele schwierig, unsicher und voller Sorge.
Zugleich hat der Bundestagswahlkampf begonnen – eine Zeit, in der gerne schnelle und einfache Rezepte für bestehende Probleme gefordert und auch versprochen werden. Schauen wir uns also einmal an, was für den Patienten Einzelhandel derzeit verschrieben wird, und bewerten wir diese Medizin.Was der Handel braucht, ist angeblich die Vermittlung von Wissen. Aber das ist doch längst da! Man kann nicht zuletzt dank unserer Initiative eine duale E-Commerce-Ausbildung machen, sich zum E-Commerce-Fachwirt beziehungsweise zur E-Commerce-Fachwirtin qualifizieren oder E-Commerce in aller Vielfalt studieren, wie unser BEVH-Hochschulatlas zeigt. Und das sind ja nur die staatlichen Aus- oder Fortbildungen.
Ein Heer von zum Teil auch staatlich alimentierten Kompetenzzentren, Beratern und Instituten vermittelt schon lange ebenfalls E-Commerce-Expertise – aber all das nur für diejenigen, die wollen. Richtig ist also eher, dass das umfassende Wissen über den E-Commerce von denjenigen, die jetzt leiden, 25 Jahre lang wohl schlicht verdrängt wurde.
Also: Falsch! Nutzt doch das vorhandene Wissen, lernt E-Commerce, nehmt die Menschen mit und stellt euer Geschäftsmodell darauf um! Übrigens: E-Commerce geht natürlich auch mit Läden, aber die können und müssen nicht so sein, wie sie jetzt noch sind.
Nicht Multichannel oder „Multi-Problemo“, wie ein früherer BEVH-Präsident, der wusste, wovon er sprach, dazu sagte, ist die Lösung. Nahtloser Handel, „seamless commerce“ ist die Zukunft im stationären Handel, und dafür müssen sich vor allem die Prozesse dahinter verändern.
Und was soll der Patient Einzelhandel angeblich noch zur Genesung brauchen? Für mich wenig überraschend wurde nach einem Treffen von Politik und Vertretern der derzeit Leidenden in einem stillen Kämmerlein des Wirtschaftsministeriums ein runder Tisch eingesetzt. So reden wir dann wohl viele weitere Jahre, bis die letzten Ladenbeleuchtungen ausgegangen sind. Meine Meinung dazu: überflüssig!
Nächstes Heilmittel: Ganz laut schallt derzeit auch der Ruf nach Geld, Förderung und Subventionen. Das kommt zur rechten Zeit, denn die Bundesregierung und die Parteien haben schon auf Wahlkampfmodus geschaltet und damit sicher die Spendierhosen nicht nur für „Kassenleistungen“ an.
Da wird also laut darüber nachgedacht, 500 Millionen Euro in einen Innenstadtfonds zu stecken; das ist übrigens ohnehin nur Homöopathie, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man für das Geld wohl nicht mal den Immobilienwert nur eines der schwer angeschlagenen Kaufhäuser oder Einkaufszentren in einer deutschen Großstadt finanzieren könnte. Mein Prädikat: nicht wirtschaftlich zu begründen und zudem untauglich!
Novemberhilfen: Gipsverband, ohne die Knochen zu richten
Eine andere Idee: Es sollen Einkaufsgutscheine, aber bitte nur für den stationären Handel, ausgegeben werden. Diejenigen, die da offensichtlich grün vor Neid auf die Onlinehändler sind, zeigen mit dieser Forderung ein seltsames Verständnis von Marktwirtschaft und von Gleichheit im Sinne unseres Grundgesetzes. Mein Urteil: schlicht rechtswidrig!
Oder noch eine Idee: 100 Millionen Euro sollen in einen staatlichen Digitalisierungsfonds für den Einzelhandel fließen. Ein Schelm, wer glaubt, dass damit nicht primär den Händlern geholfen werden soll, sondern schlichtweg die Mittel eines schon mit millionenschwerer staatlicher Hilfe und ohne ernsthafte Erfolgskontrolle aufgebauten sogenannten „Kompetenzzentrums“ nochmals um circa das Zwanzigfache aufgestockt werden sollen. Meine Meinung: überflüssig!
Und einfach einen dicken Gipsverband darüber? Das scheinen mir die als „Novemberhilfe“ oder „Dezemberhilfe“ bezeichneten staatlichen Überbrückungshilfen zu sein, in deren Genuss nun auch mittelbar Betroffene und damit stationäre Einzelhändler kommen sollen. Nur was hilft es, wenn man einen Gipsverband anbringt, ohne vorher den Bruch zu richten?
Mein Fazit insgesamt: Das sind nicht mal Schmerzmittel, das alles lindert keine Symptome, das schafft keine Ruhe und Erholung für den Patienten, sondern das sind teure Placebos auf Rezept!
Städtebauprojekte sind richtig, aber langwierig und teuer
Lieber etwas experimentelle Medizin gefällig? 25 Millionen Euro hat der Bundestag jüngst für städtebaulichen Modellprojekte bewilligt, um Innenstädte fit für die Zukunft zu machen. So könnte eine vielversprechende Therapie entwickelt werden, denn die Unterstützung von Städten und Gemeinden bei der Herausforderung von Transformationsprozessen mit Blick auf ein neues Nebeneinander von Gewerbe, Gastronomie, Bildung, Kultur und Wohnen ist genau das, was fehlt, statt der neuen, immer gleichen Monotonie der letzten Jahre.
Also richtig, da muss der Facharzt hinzugezogen werden, denn es ist eine städtebauliche, planerische Aufgabe, hier tätig zu werden. Und das wird kompliziert, langwierig und teuer!
Also liebe Patienten, wartet nicht auf Hilfe oder Geld vom Staat, sondern seht genau hin, wofür ihr selbst derzeit euer Geld ausgebt. Macht eine echte Erfolgskontrolle, ob es so wirkt, wie beabsichtigt, und spart euch unzeitgemäße Prestigeprojekte. Stellt nicht mehr wirksame, jedenfalls nicht mehr exakt auf eure Zielgruppe hin zu steuernde klassische Werbung auf den Prüfstand, genauso ineffektive externe Berater.
Hört auf eure eigenen Leute und eure eigenen Kunden. Und hört auf, das schlechte Geschäftsergebnis eines teuren Ladens damit zu rechtfertigen, dass dieser ja auch ein Marketing-Investment sei. Hebt jedes eigene Potenzial und steckt das ersparte Geld in Menschen und Digitalisierung! Selbstheilung durch digitales Fitnesstraining ist das Gebot!
Daher Schluss mit Reden, keine Ausreden mehr für Zögerlichkeit. Fangt an zu (be)handeln! Ein einfacher Suchmaschinen- oder digitaler Karteneintrag ist schnell erstellt, eine Internetdomain und eine einfache Shopsoftware kosten zusammen viel weniger als das Fitnessstudio, bei dem man ohnehin nur wegen des schlechten Gewissens Mitglied ist.
Das vorhandene Schaufenster lässt sich ganz einfach als Hinweis für den Internetauftritt oder wenigstens einen Bestellservice nutzen. Den ganzen schon ewig rumliegenden Lagerbestand könnte man doch mal auf einem Internetmarktplatz zum Abverkauf einstellen, um bestenfalls Platz und Liquidität zu schaffen, aber jedenfalls um die Mechanismen dort kennenzulernen.
Vernetzt euch untereinander und helft einander aus. Und vieles mehr ist möglich, aber man muss es machen. Das klingt banal? Manchmal sind es eben die einfachen Hausmittel, die am besten helfen.
(Quelle: Christoph Wenk-Fischer)
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